Feuer und Flamme für den Eiskanal

Wir schreiben den 8. Februar 2002. Salt Lake City. Urs «Enzo» Aeberhard trägt als Teil der Schweizer Delegation den Silbermantel – der später für immer mit Schanzenzauberlehrling Simon «Harry Potter» Ammann verbunden bleiben wird –, als er unter dem Jubel der Zuschauer ins Rund des RiceEccles Stadiums der University of Utah einläuft. Für den Bremser im Viererbob Schweiz II von Christian Reich, der sich später im Eiskanal mit dem sechsten Rang wird zufriedengeben müssen, bleibt dieser Einmarsch ein unvergesslicher Höhepunkt seiner Karriere.

«Als Bobfahrer von Tausenden Zuschauern bejubelt zu werden und Teil des Weltsports zu sein – dieses Gefühl kann man nicht beschreiben. Überhaupt waren die Spiele in Salt Lake City, schliesslich durften wir knapp drei Wochen lang alles vor Ort mitbekommen, ein fantastisches Erlebnis», erzählt uns der stämmige Innerschweizer Athlet. Heute empfängt uns Urs Aeberhard im Clubhaus des Bobclubs St. Moritz.

 

Zehn Jahre Spitzensport

Urs Aeberhard, oder besser Enzo, wie ihn hier alle nennen, brennt für den Bobsport. 1994, im Alter von 23 Jahren, entdeckte ihn Bobpilot Fredi Steinemann und fragte ihn an, ob er sich vorstellen könne, in den Bobsport einzusteigen; Enzo Aeberhard war schon im Turnverein als zwar schwerer, doch schnellkräftiger und sprintstarker Athlet aufgefallen. Das sind ideale Voraussetzungen für einen Anschieber eines Bobs. Er sagte also zu, und bereits drei Jahre später gewann er im Zweierbob die Silbermedaille an den Schweizermeisterschaften. Und als er dann ins Team von Christian Reich gewechselt war, gewann er an Welt- und Europameisterschaften sowohl im Zweier- wie im Viererschlitten einmal Silber und vier Mal Bronze. Im Jahr 2000 holte er sich zudem im Zweierbob mit Christian Reich den Gesamtweltcup.

Bobsport auf diesem Niveau bedeutet hartes Kraft-, Sprint- und Starttraining im Sommer und eine fünfmonatige Wintersaison, die vollumfänglich dem Bobsport gewidmet wird. Die berufliche Karriere wird zurückgestellt – und finanziell verzichtet man auf einiges. Sportliche Kameradschaft und die Leidenschaft für den Wettkampf entschädigen für Einbussen in anderen Lebensbereichen. 2004 beendete Urs Aeberhard seine Karriere als aktiver Sportler. Dem Bobsport blieb er aber treu.

Im Bobsport geht es familiär zu. Die Athletinnen und Athleten aus den verschiedenen Nationen kennen sich gut. Die Atmosphäre an den Weltmeisterschaften in St. Moritz, die dieses Jahr Ende Januar und Anfang Februar über die Bühne gingen, ist fokussiert, aber auch entspannt und freundschaftlich. Ehemalige Spitzenpiloten aus den Alpennationen sitzen im Gunter-Sachs-Club am Start des Eiskanals zusammen am Nebentisch. Sie klopfen Sprüche und lachen über Anekdoten aus gemeinsam verbrachten Sportlerjahren. Eine junge Bobpilotin grüsst Enzo Aeberhard, sie bespricht kurz ihre Fahrt, die für einmal mit einem gekippten Bob geendet ist. Enzo Aeberhard ermutigt sie – im nächsten Run geht es dann schon besser.

 

«Ich will etwas zurückgeben»

Enzo Aeberhard ist es anzusehen, wie sehr ihm diese Bobfamilie ans Herz gewachsen ist. Alle paar Meter grüsst er Kollegen aus aller Welt, tauscht sich kurz mit ihnen aus, macht einen Spruch. Seit über 20 Jahren ist er im Vorstand des Bobclubs Zentralschweiz engagiert.

«Mir war immer bewusst, dass ich im Bobsport nur dank dem freiwilligen Engagement von vielen Funktionären und Helfern erfolgreich sein konnte. Es war mir deshalb wichtig, auch etwas zurückzugeben.»

Der jetzige Präsident von Swiss Sliding, so heisst der Schweizerische Verband, der die Sportarten Bob, Skeleton, Rodeln und Hornschlitten in sich vereint, Sepp Kubli, kam 2019 auf Enzo Aeberhard zu und sagte: «Enzo, wir brauchen dich im nationalen Verband.»

Und so wurde der Innerschweizer im August 2019 Finanzchef und Leiter Spitzensport. «2020 war dann durch die Pandemie sehr schwierig, zum einen finanziell für den Verband, zum anderen war es für mich fast unmöglich, die Spitzenathleten zu sehen», sagt er rückblickend. Als Nischensport ist der Verband auf die finanzielle Unterstützung durch die öffentliche Hand und auf private Sponsoren angewiesen.

Ein langjähriger Sponsor, die Bank Julius Bär, reduzierte das Engagement letztes Jahr und konzentriert sich nun auf die Nachwuchsförderung. Doch glücklicherweise ist es jüngst gelungen, mit Peter Spuhler und Stadler Rail einen neuen Förderer von Swiss Sliding zu gewinnen. «In den letzten drei Jahren haben wir den Verband wieder in die Spur gebracht, was einiges an Aufwand bedeutete. Heute können wir auch sportlich wieder optimistischer in die Zukunft blicken. Ich hoffe, dass ich bald die ersten Medaillen an Titelkämpfen erleben darf im Vorstand.»

Bis Cortina d'Ampezzo 2026 will Enzo Aeberhard noch weitermachen. Mit wöchentlich zirka sechs Stunden Aufwand ist das Engagement doch beträchtlich, und die Sitzungsgelder, die ausbezahlt werden, sind eher symbolischer Natur. «Um Geld zu verdienen, muss man das nicht machen», sagt er lachend.

 

Bobsport – generationenübergreifend

Bobfahren ist nicht zuletzt auch möglich, weil die Leidenschaft für den Sport von einer Generation an die nächste weitergereicht wird. Die Familiennamen Rüegg, Schärer, Acklin werden in der Schweizer Szene mit dem Bobsport in Verbindung gebracht. Am Start an der Bob-WM in St. Moritz ist auch Enzo Aeberhards Junior Mario. Er sitzt mit im Spurbob, der vor den teilnehmenden Athletinnen und Athleten durch den Eiskanal rast; als Bremser – wie sein Vater – ist er Mitglied im Bobclub Zentralschweiz. Mit seinem Schwiegervater Toni Rüegg vereint die Familie drei Generationen von Bobsportlern. Wer weiss, vielleicht feiert Enzo Aeberhard in ein paar Jahren mit seinem Sohn die nächste Medaille im Familienbesitz.

 

Text: Köchle Othmar
Foto: David Feldmann, kawika.ch