Nachruf: Jean Roland Wicki

Nachruf: Jean Roland Wicki

 

Nachruf von Edy Hubacher

 

Jean Roland Wicki,
geboren 18. Juni 1933, gestorben 11. Juni 2023

Lebensmotto «Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg» 

„Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg“. Eine Lebensmaxime, die Jean Wicki bei allen sportlichen und beruflichen Unternehmungen begleitet und ihn nach schwierigen Situationen immer wieder auf den erfolgreichen Weg zurückgeführt hat. Denn einfach hatte er es selten, bereits mit sieben Jahren verlor er seinen Vater. Die junge Mutter musste drei Söhne mit grossen Entbehrungen durch die schwierigen Jahre des zweiten Weltkrieges führen. Eine intensive Zeit mit Erfahrungen, die Jean für sein weiteres Leben geprägt haben. Mit 20 Jahren, seine Lehre als Automechaniker in Sierre kaum richtig beendet, verliess er das Wallis und strebte dorthin, wo nach seiner Auffassung das Zentrum der Welt war - nach Paris. Auch Jahrzehnte später behauptete er mit glänzenden Augen, es sei für ihn ein einmaliger Glücksfall gewesen, beim renommierten Formel-1-Konstrukteur Gordini zuerst als Mechaniker, dann als Rennwagen-Spezialist und zuletzt als Testfahrer die Faszination der Geschwindigkeit und die perfekte Organisation im Team zu erleben. Als Gordini in finanzielle Schwierigkeiten geriet – Jean Wicki bestreitet, dass dies eine Folge seines Salärs und seiner Prämien war….. - und von Renault im letzten Augenblick gerettet und übernommen wurde, stand er plötzlich mit nur noch 100 Franken in der Tasche an der Gare du Nord und träumte von einem sicheren Arbeitsplatz zu Hause in der Schweiz. Dass dieses „zu Hause“ allerdings für die nächsten fünfzig Jahre nicht das Wallis, sondern das für einen Walliser sehr, sehr abgelegene Zürich sein werde, davon wurde in seinem Traum nichts erwähnt. 

Bereut hat er es allerdings nie. Zürich wurde zu seiner zweiten Heimat. Beim Bahnhof Zürich-Oerlikon ging 1959 sein Traum einer eigenen Werkstatt in Erfüllung. Die kleine Zweimann-Garage entsprach jedoch nicht den Ambitionen von Jean. Der kleine Renault-Vertreter entwickelte sich zu einem anerkannten Mercedes-Spezialisten. In Zürich-Affoltern und Luzern/Kriens führte er zwei grosse Center mit rund 150 Mitarbeitern. 1985, auf dem Höhepunkt, musste er sich entscheiden: Autos oder Häuser, denn in der Zwischenzeit hatte sich sein drittes, seit 1960 gepflegtes „Hobby“ dermassen entwickelt, dass es nicht mehr im „Nebenamt“, im Nespresso-Centre in Lausanne (JW- Unternehmungen) zu bewältigen war Sein Nachbar Max Angst (1956 Vizeolympiasieger im Zweierbob) brachte ihm einen arg „vermöbelten“ Bob zum Reparieren und etwas später auch der Kontakt zu Heiri Angst (1956 Olympiasieger mit Franz Kapus und langjähriger Präsident des Zürcher Bob Clubs) motivierten Jean endgültig für das Bobfahren. 1960 besuchte er die Internationale Bobschule auf dem Olympia Bob Run St. Moritz – Celerina. 1962 Selektion an die WM in Garmisch (zweimal mit Thuri Leugger als bester Schweizer). Allerdings entsprach das Resultat nicht ganz den Vorstellungen des Verbandes (Selektionsreglemente gab es damals noch nicht, nur „Vorstellungen“). In den folgenden Jahren wurde Jean kompromisslos übergangen. Seine erste sportliche Enttäuschung war perfekt. 

Mit grosser Wahrscheinlichkeit gibt es kaum einen zweiten Bobpiloten, der während seiner Karriere so oft und so brutal den Wechsel zwischen der „Hölle der grössten Enttäuschung“ und dem „unbeschreiblichen Glücksgefühl des höchsten Triumphes“ erleben musste und durfte. Mit dem Sieg im Viererbob Rennen an den Olympischen Spielen 1972 in Sapporo war der sportliche Traum in jeder Beziehung erfüllt. Sein Rücktritt im Anschluss vom aktiven Bobsport war konsequent und verständlich. Fünf Jahre später kehrte er zurück ins Rampenlicht, diesmal – ohne dass er es gesucht hätte – auf der administrativen Ebene. Nach einer ziemlich turbulenten Verbandszeit konnte Jean Wicki nicht nein sagen, als man ihn bat, das von seinem Vereinskollegen angerichtete Desaster auszubügeln. Er übernahm das Präsidium unter der Bedingung, dass der bisherige Vizepräsident Erwin Brazerol, das einflussreiche Amt des TK-Chefs übernehme. Das Tandem funktionierte gut. Die sportlichen Erfolge liessen nicht auf sich warten. Hans Hiltebrand, Erich und Peter Schärer errangen während der dreijährigen Amtszeit von Jean Wicki drei Gold-, zwei Silber- und eine Bronzemedaille an Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften. 1980, nach nur drei SBSV-Amtsjahren, trat Jean Wicki zurück. Er war trotz der Wahlniederlage des von seinem Club portierten Nachfolgers überglücklich, dass TK-Chef Erwin Brazerol nun als Zentralpräsident die Geschicke des Verbandes bestimmen konnte. 

Der Internationale Bob- und Skeleton Verband (IBSF) und Olympia Bob Run Historic (OBR) haben gemeinsam eine Hall of Fame aufgebaut. Sie wurde anlässlich der IBSF Bobsleigh-, Skeleton- und Para Bob-WM 2023 in St. Moritz/Celerina eingeweiht. In dieser «Ruhmeshalle» finden nationale und internationale Persönlichkeiten einen Platz, die sich für den Bob- und Skeleton-Sport verdient gemacht haben. Als erste Legenden werden unter anderem der Olympia-Gold-Vierer von Sapporo 1972 mit Jean Wicki, Hans Leutenegger, Werner Camichel und Edy Hubacher, sowie der erfolgreichste Schweizer Bobfahrer Erich Schärer in die Hall of Fame aufgenommen. Jedes Jahr kommen weitere Athleten und Athletinnen, Konstrukteure und Funktionäre aus der Eissport-Szene dazu. Jean blieb seinem Stammclub, dem Zürcher Bob Club, bis zu seinem Hinschied eng verbunden. Das Ehrenmitglied unterstützte den ZBC als Sponsor bei viele Gelegenheiten. Er gründete und förderte auch das „Wicki -Team“. Ralph Pichler, der Pilot, dankte es ihm mit zwei Weltmeistertiteln und einem Olympischen Diplom in Sarajewo. Für Jean Wicki hiess Leben „Action“, „ça bouge“, „andiamo“, und alle wissen es: Auch ohne „Action“ war es ihm nie wirklich langweilig. Er verstarb eine Woche vor seinem 90. Geburtstag nach kurzer Krankheit im Beisein seiner Tochter.

 

Olympiasieger, Europameister, Schweizermeister

  • Olympische Spiele 1968 in Grenoble: Zweierbob, Bronzemedaille, erste Schweizer Bob-Medaille seit 1957!
  • Olympische Spiele 1972 in Sapporo: Viererbob, Goldmedaille mit Hans Leutenegger, 
  • Werner Camichel, Edy Hubacher
  • Olympische Spiele 1972: Zweierbob, Bronzemedaille mit Edy Hubacher
  • Europameisterschaft 1968, Viererbob, Goldmedaille
  • Weltmeisterschaft 1969, Sturz in führender Position im 4. Lauf, 9 Monate im Gips
  • Europameisterschaft 1972, Zweierbob, Bronzemedaille
  • Schweizermeisterschaften von 1962 bis 1972: 3 Titel im Zweierbob und 4 Titel im Viererbob

 

Text: Edy Hubacher
Bild: Swiss Sliding